Im Zentrum der Lean Start-Up Methode steht der Build-Measure-Learn-Zyklus. In iterativen Schritten soll ein Produkt entwickelt werden, das den Kundenansprüchen entspricht, attraktiv für den Markt ist und skalierbar verkauft werden kann.
Während der Entwicklung des Geschäftsmodells oder des Produktes sollen Hypothesen aufgestellt werden, welche durch kontinuierliches Kundenfeedback (Early-Adopter) validiert werden.
Durch ein Minimum Viable Product (engl. MVP) soll ein Produkt erschaffen werden, welches die geringsten Anforderungen erfüllt, für direktes Kundenfeedback geeignet ist und idealerweise die ersten Umsätze bringt.
Die Entwicklung von Medizinprodukten nach ISO 13485
In Kapitel 7.3 (Entwicklung) ist beschrieben, dass die Organisation die Entwicklung des Produkts planen und lenken, und, soweit angemessen, Dokumente zur Entwicklungsplanung aufrechterhalten und während der Entwicklung aktualisieren muss.
Es werden Entwicklungsphasen definiert und die dazu benötigten Bewertungen dokumentiert. Verifizierung, Validierung und Designtransfer sind vorgeschrieben und werden ebenfalls dokumentiert - genau wie Verantwortungen und Befugnisse.
Unterschiedliche Ansätze - das gleiche Ziel
Wie man sieht, sind die Ansätze zur Entwicklung beider Methoden unterschiedlich. Im Lean Start-Up Ansatz will man schnell etwas erstellen und direkt beim Kunden testen und dann zum Produkt vervollständigen. In der vorgegebenen Norm für die Entwicklung von Medizinprodukten geht es darum, Entwicklung als einen systematisch geplanten Prozess zu gestalten.
Aber auch gemäß der ISO 13485 müssen Anforderungen ermittelt werden (Kapitel 7.3.3 Entwicklungseingaben):
- "Funktions-, Leistungs-, Gebrauchstauglichkeits- und Sicherheitsanforderungen entsprechend dem bestimmungsgemäßen Gebrauch;
- anwendbare regulatorische Anforderungen und Normen;
- anwendbare(s) Ergebnis(se) aus dem Risikomanagement;
- soweit angemessen, Informationen, die aus früheren ähnlichen Designs abgeleitet wurden;
- andere wesentliche Anforderungen für die Entwicklung des Produkts und der Prozesse."
Lean Start-Up nur begrenzt für Medizinprodukteentwickler möglich
Verschiedene Aspekte des Lean Start-ups lassen sich nicht eins zu eins auf die Medizinproduktentwicklung übertragen:
1. MVP: Der Einsatz von Medizinprodukte vor CE-Kennzeichnung in Deutschland ist streng geregelt und benötigt größere Ressourcen als das Launchen einer Web-App. Dabei sind nicht nur die Entwicklungsprozesse, sondern alle relevanten Prozesse, in einem Qualitätsmanagementsystem abzubilden (ISO 13485). Zudem gelten noch weitere Normen, deren Erfüllung und Nachweis größere Ressourcen benötigen kann (bspw. 10993 - Biokompatibilität, 60601 - elektrische Sicherheit).
2. Lean: Wenn physische Medizinprodukte entwickelt und hergestellt werden, sind zumeist größere Produktionsanlagen mit individuellen Ausstattungen erforderlich. Oft kann dabei nicht auf bestehende Produktionsanlagen zurückgegriffen werden, so dass in den Investorenrunden häufig mehr Geld eingesammelt werden muss, als für andere Start-Up's.
3. Personal: Neben der schwierigen Personalsuche im IT-Bereich, müssen auch noch Fachleute für den Bereich Zulassung und Qualitätsmanagement gesucht werden. Und hier herrscht ebenfalls ein Personalmangel, der es selbst kleineren, mittelständischen Unternehmen schwierig macht, geeignetes Personal zu finden. Dies wird sich in den nächsten Jahren durch das kommende Ende der Übergangsfrist der Medical Device Regulation im Mai 2020 noch deutlicher bemerkbar machen.
4. Product Market Fit: Je nach Produkt gibt es verschiedene Einsatzmöglichkeiten, die schwierig zu überblicken sind: verschiedene Sektoren, verschiedene Fachärzte, Homecare oder Klinikbereich, uvm.
5. Revenue: Die Erlössituation und die Planung von Erlösen sind im Medizinproduktebereich äußerst komplex. Oft wird tieferes, medizinisches Wissen nötig, -z.B. bei welchen OPS-Prozeduren das Produkt eingesetzt wird - um eine eingehende Marktanalyse machen zu können.
Was Sie sich von der Lean Start-Up Methode abgucken sollten
1. Sprechen Sie mit Ihren Kunden. Viele Entwicklungen werden nur von einem Arzt aus begleitet und bergen die Gefahr am tatsächlichen Bedarf vorbei entwickelt zu werden. Um die Wahrscheinlichkeit eines Produktes zu erhöhen, sprechen Sie mit vielen Ärzten - und vergessen Sie je nach Produkt nicht das Pflegepersonal, die Therapeuten und die weiteren Anwender. Diese haben einen ganz wertvollen Blick auf die Verwendung von Medizinprodukten.
2. Kommen Sie ins tun. Beginnen Sie nicht nur mit den spannenden Entwicklungsarbeiten, sondern auch mit den ungeliebten Dokumentationsaufgaben. Am Ende alles zusammenzustellen, macht dreimal so viel Arbeit.
3. Arbeiten auch Sie mit Hypothesen. Ihre Annahmen zu Indikationen, OP-Technik und Zweckbestimmung sind erstmal auch nur Annahmen, die als Arbeitsplan dokumentiert werden und dann bestätigt oder ggf. unterwegs geändert werden müssen.